Megacities

Die Zukunft gehört der Stadt

Immer mehr Menschen ziehen in Städte. Damit die wachsenden urbanen Zentren den Wandel meistern können, müssen Planer in die Tiefe denken. Ein Großteil der wichtigen Infrastruktur verläuft unter der Erde – und innovative Bauwerke im Untergrund schaffen Raum für neue Möglichkeiten.

Derzeit gibt es auf der Welt 30 Megacities mit über 10 Millionen Einwohnern wie in Istanbul.

Seit Jahrzehnten schreitet die Urbanisierung unaufhaltsam voran: Heute lebt bereits die Hälfte der Weltbevölkerung im urbanen Raum, im Jahr 2050 sollen bereits zwei Drittel aller Menschen Stadtbewohner sein. Die Metropolen von heute wachsen weiter, neue Ballungszentren nie gekannten Ausmaßes entstehen. Derzeit gibt es auf der Welt 30 Megacities mit über 10 Millionen Einwohnern – zehn weitere Städtewerden die Marke bald überschreiten. Besonders dynamisch entwickeln sich dabei die Länder Afrikas, Lateinamerikas und Asiens. China bleibt das Beispiel der Superlative: Dort gibt es heute schon 125 Millionenstädte, in zehn Jahren werden es mehr als 200 sein.

 

Die Urbanisierung birgt große Chancen und noch größere Herausforderungen. Einerseits kann die Dichte der Stadt helfen, die Bürger effizient zu versorgen. Sie bietet Zugang zu Bildung und Arbeit, Waren und Dienstleistungen, sozialer Teilhabe und medizinischen Einrichtungen. Straßennetze, Strom- und Wasserversorgung können bis zu ein Drittel kostengünstiger entwickelt und betrieben werden als auf dem Land. Städte sind Orte des gesellschaftlichen Fortschritts und der Innovation sowie Motoren für wirtschaftliches Wachstum. Weltweit werden in ihnen etwa 80 Prozent der Bruttoinlandsprodukte generiert. Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern ziehen sie Menschen an, die der Armut entkommen wollen und sich eine bessere Zukunft erhoffen.

INFRASTRUKTUR FÜR NEUE METROPOLEN

Doch wo Städte unkontrolliert wachsen, verkehren sich die positiven Seiten der Urbanisierung schnell ins Gegenteil. Vielerorts entstehen Slums und Verkehrschaos, die Kriminalitätsraten steigen und die gesundheitliche Situation der Bewohner verschlechtert sich. Jene Probleme, die heute etwa Lagos, Mumbai oder São Paulo zu bewältigen haben, erlebten die Metropolen westlicher Industrienationen bereits im Zuge ihres rapiden Wachstums im 19. Jahrhundert. Erst durch gewaltige Baumaßnahmen für Wasserleitungen, Abwasserkanäle, Elektrizität und Metrosysteme entwickelten sie sich zu modernen urbanen Zentren, wie wir sie heute kennen. Die Geschichte zeigt: Nur wo rechtzeitig und durchdacht in Infrastruktur investiert wird, kann die Urbanisierung ihr positives Potenzial entfalten.

Megacity Bangkok.

Ob Kleinstadt oder Metropole: Planer müssen innovative Lösungen erarbeiten, um mit dem Bevölkerungswachstum Schritt zu halten. Und weil ein Großteil der notwendigen städtischen Infrastruktur im Untergrund liegt, prägen Untergrund-Pioniere den weltweiten Wandel an vorderster Front. Am chinesischen Pearl-River-Delta entsteht derzeit das größte Ballungsgebiet der Welt: Guangzhou, Shenzen, Hongkong und acht weitere Millionen- und Großstädte sollen bis 2020 zu einer Megaregion mit 120 Millionen Einwohnern verschmelzen. Das Delta entlang des Perlflusses hat sich in wenigen Jahrzehnten von einem ländlich geprägten Gebiet zu Chinas wirtschaftlich stärkster Region entwickelt. Die Kommunen machen vor, wie Megacities im 21. Jahrhundert geplant und erschlossen werden können. Sie investieren 215 Milliarden Euro in Infrastrukturprojekte, modernisieren Flughäfen und Seehäfen, bauen das Straßennetz aus und verlegen rund 6000 Kilometer Gleise für Hochgeschwindigkeitszüge, Intercity-Verbindungen und U-Bahnen. Tunnelbohrmaschinen von Herrenknecht bewähren sich dabei in mehreren hundert Projekten, im harten Granitgestein unter Hongkong ebenso wie in den Sedimentböden am Perlfluss.

Kowloon, Hong Kong.

Auf der Schiene statt im Stau

Die Entwicklung der einzelnen Städte im Delta ist atemberaubend: Guangzhou, die größte Metropole der boomenden Region, wuchs zwischen 1990 und 2006 im Schnitt um 7,7 Prozent jährlich, Shenzen sogar um 20,8 Prozent. Der Ausbau des Schienenverkehrs wird das Leben der Menschen im Delta grundlegend verändern, Züge und Metros bieten eine Alternative zu den berüchtigten Staus und dem Verkehrschaos nach Feierabend. In Guangzhou befördert die Metro heute bereits täglich zwischen vier und acht Millionen Passagiere, in den nächsten fünf Jahren sollen nochmal 200 Gleiskilometer hinzukommen. Durch schnelle Intercity-Verbindungen werden die Menschen zudem flexibler bei der Wahl ihres Wohnortes.

 

Im September 2018 wurde der Express Rail Link (XRL) eingeweiht, der Hongkong mit Guangzhou, Shenzen und anderen Städten verbindet. Dafür hat Hongkong den Kopfbahnhof West Kowloon gebaut, der komplett im Untergrund liegt und auf vier Ebenen Platz für 15 Bahnsteige bietet. Zu den Hauptverkehrszeiten fährt der XRL alle drei Minuten. Passagiere brauchen bis ins Zentrum des Pearl-River-Deltas nur noch 48 Minuten, statt bis zu zwei Stunden mit der Eisenbahn oder vier Stunden mit dem Bus – auch dank der sechs Herrenknecht-TBM, die auf der Strecke zum Einsatz gekommen sind.

 

Sicherer Vortrieb auf engstem Raum, wie hier in Hong Kong.

Eine Gripper-TBM mit einem Durchmesser von 6,25 Meter fuhr in Mumbai einen über 6 Kilometer langen Teil eines Wassertunnels durch harten Basalt auf. 

Wachstum und Vernetzung

So arbeiten sich Vortriebsmaschinen aus dem Hause Herrenknecht überall auf der Welt durch den Untergrund. Sie helfen, die Versorgung ländlicher Regionen zu sichern, das nachhaltige Wachstum der Städte von morgen zu meistern, den Verkehr zu entlasten und urbane Zentren mit ihrer Umgebung zu vernetzen. Die Anwendungen und Leistungen sind dabei so vielfältig wie die infrastrukturellen Herausforderungen in der Stadt und auf dem Land. Ein Herrenknecht Mixschild unterquerte zwischen Juli 2017 und August 2018 den Jangtse in 74 Metern Tiefe, damit die Metropolen an Chinas Ostküste durch Gas Insulated Transmission Lines (GIL) mit Strom aus dem Landesinnern versorgt werden können. Zwei Doppelschildmaschinen bohrten in Ecuador einen fast 25 Kilometer langen Zulauftunnel für ein Hydropower-Projekt, mit dessen Hilfe das Land den Wasserkraftanteil in seinem Energiehaushalt auf 90 Prozent heben will. Und eine Gripper-TBM mit einem Durchmesser von 6,25 Meter fuhr in Mumbai einen über 6 Kilometer langen Teil eines Wassertunnels durch harten Basalt auf. Mit Hilfe eines Staudamms auf dem Vaitarna Fluss hatte die Stadtverwaltung eine neue Wasserquelle erschlossen und konnte somit die Frischwasserversorgung Mumbais insbesondere in Trockenperioden verbessern.

Vielfalt im Vortrieb

In mehr als 4.100 Referenzprojekten wird die Tunneling-Kompetenz der Tunnelbauindustrie mit Herrenknecht-Technologie immer wieder aufs Neue bewiesen. Zum Beispiel in Wuhan, einer Stadt am wichtigsten Verkehrsknotenpunkt in Zentralchina, die bald in die Liga der Megacities aufsteigen wird. Seit 2017 erweitert die Stadt ihr Metronetz um mehr als 140 Kilometer und muss dafür auch den Jangtse unterqueren. Im Zentrum entsteht ein gigantischer Tunnel mit doppeltem Nutzen: Auf dem oberen Deck wird eine dreispurige Straße verlaufen, darunter die Metro. Die mehr als zweieinhalb Kilometer lange Bohrtrasse verläuft teilweise fast 40 Meter unter der Wasseroberfläche, dabei muss ein hoher Wasserdruck von 5,3 bar gestemmt werden. Der Tunnel führt zudem durch anspruchsvolle geologische Formationen und teils vollflächig durch Sand und Ton. Zum Einsatz kommen zwei projektspezifisch angepasste Mixschilde von Herrenknecht mit Durchmessern von 15,7 Metern. Dank modernster Vortriebstechnologie sind Tunnelbauarbeiten auch in sensibler innerstädtischer Umgebung möglich, ohne dass das Leben über der Erdewesentlich beeinträchtigt wird. Im texanischen Freeport standen Bauunternehmen und Planer vor einer besonderen Herausforderung: Für den Bau einer Pipeline mussten sie den Dow Barge Kanal, diverse Straßen, mehrgleisige Eisenbahnstrecken sowie ein Hochwasserschutzdamm unterqueren. Zielgenaues Equipment war hier entscheidend. Um die gesamte Pipeline in den Boden zu bringen, wurde ein 750 Tonnen-Pipe-Thruster an die AVN-Maschine mit 1.000 Millimetern Durchmesser gekoppelt. Dieses Powerpaket brachte im Direct Pipe®-Verfahren die erforderliche Schubkraft am Stück auf.

In Wuhan sind, dank modernster Vortriebstechnologie, Tunnelbauarbeiten auch in sensibler innerstädtischer Umgebung möglich, ohne dass das Leben über der Erde wesentlich beeinträchtigt wird.

Weil der Platzmangel erfinderisch macht, werden im Untergrund von Städten wie Miami auch völlig neue Wege beschritten.

Städte wachsen in die Tiefe 

Wo es überirdisch zu eng wird, denken Stadtplaner zunehmend in die Tiefe. So stehen viele Metropolen Europas und Nordamerikas, die im Gegensatz zu ihren Pendants in Asien und Afrika nur noch vergleichsweise langsam wachsen, erneut vor einer Zeitenwende: Sie wollen weg vom Konzept der Autostadt, das ihre Architektur über Jahrzehnte prägte. Es hat sich schließlich gezeigt, dass mehr Straßen nur mehr Verkehr hervorbringen. Weil sich Ballungsräume wie New York, London, Paris oder das Ruhrgebiet werktäglich am Rande des Verkehrsinfarktes befinden, wird der Schienenverkehr im großen Stil ausgebaut. Crossrail in London oder Grand Paris zählen zu den Jahrhundertprojekten, die manch ein TBM-Operator schon als das Highlight seiner Karriere bezeichnet.

 

Weil der Platzmangel erfinderisch macht, werden im Untergrund auch völlig neue Wege beschritten. In einem ehemaligen Luftschutzbunker unter dem Londoner Stadtteil Clapham gedeiht Gemüse und Getreide unter LED-Lampen – laut Betreiber benötigen die Hydrokulturen dort 70 Prozent weniger Wasser als Pflanzen in der konventionellen Landwirtschaft. In Shanghai hat in einem stillgelegten Steinbruch das erste unterirdische Hotel eröffnet, mit 336 Zimmern und Suiten. In einem Architekturbüro, in der brechend vollen Megastadt Mexiko City, liegen schon die Pläne für einen „Earthscraper“: ein Tiefhaus mit 65 Stockwerken, das als umgekehrte Pyramide 300 Meter in die Erde hineinragen soll. Wie groß das Potenzial des Untergrunds ist, zeigt die finnische Hauptstadt Helsinki: Dort gibt es heute bereits rund 400 unterirdische Bauwerke, darunter eine Kirche, ein Shoppingcenter, ein Busbahnhof und eine Eissporthalle.

 

 

Deep Tunnel Sewerage System (DTSS), Singapur.

Musterschüler Singapur

Als Musterschüler der überirdischen und unterirdischen Stadtentwicklung gilt Singapur. Begrünte Hochhäuser, vertikale Gärten und Urban Farming bieten Raum für eine vielfältige Pflanzenwelt, die dem Stadtstaat als natürliche Klimaanlage dient. Das eng getaktete U-Bahn-System gilt als eines der dichtesten und preiswertesten der Welt, ein neues Privatauto wird nur noch zugelassen, wenn dafür ein altes von der Straße verschwindet. Die Stadt wächst nicht nur in die Höhe und – mit künstlich aufgeschütteten Inseln im Meer – in die Breite, sondern auch in die Tiefe. Schon jetzt verlaufen Fußwege, 17 Kilometer Schnellstraßen und 100 Kilometer U-Bahn-Strecken unter Tage. Einkaufen kann man in unterirdischen Shopping Malls und künftig könnte auch der Müll über ein unterirdisches Röhrensystem entsorgt werden. Mit dem gigantischen Bauprojekt Deep Tunnel Sewerage System (DTSS) investiert Singapur jetzt über 6 Milliarden Dollar in die Zukunft seines Abwassermanagements – und macht sich dadurch ein Stück unabhängiger von der Frischwasserversorgung aus Malaysia. Die Bauarbeiten der ersten Phase von DTSS, bei denen 13 Herrenknecht Tunnelbohrmaschinen (TBM) im Einsatz waren, wurden 2008 abgeschlossen. Für DTSS Phase II lieferte Herrenknecht alle der 19 benötigten TBM sowie eine Vertical Shaft Sinking Machine (VSM). Hinzu kam umfangreiches Zusatzequipment.  

 

Um den städtischen Wandel weltweit zu meistern, müssen laut einer Schätzung des Global Infrastructure Hub bis zum Jahr 2040 noch über 85 Billionen Euro in Verkehr, Energie, Wasser und Telekommunikation investiert werden. Die Urbanisierung geht also weiter – und dem Untergrund kommt dabei eine immer entscheidendere Rolle zu.

Mit dem gigantischen Bauprojekt Deep Tunnel Sewerage System (DTSS) investiert Singapur jetzt über 6 Milliarden Dollar in die Zukunft seines Abwassermanagements.